Was sagt die evangelische Kirche zur Scheidung?
Die evangelische Kirche betrachtet die Ehe und damit auch die Scheidung der Ehe als eine weltliche Angelegenheit. In der evangelischen Kirche ist die Ehe kein Sakrament:
- Haben Sie nach der standesamtlichen Trauung auch kirchlich geheiratet, gelten Sie nach der Scheidung durch ein Familiengericht auch aus kirchlicher Sicht als geschieden.
- Ihre Ehe wird also weltlich und religiös zugleich aufgelöst.
- Dann können Sie erneut, durchaus auch mehrfach nacheinander, heiraten und sich evangelisch trauen lassen.
Die evangelische Kirche hat ihren Standpunkt zu Ehe und Scheidung in einer Denkschrift im Jahr 2013 konkretisiert. Darin finden sich auch liberale Ansichten über alternative Lebensentwürfe, aber auch zum Thema Scheidung.
Verständnis der Ehe: Offenes Bild von Familie
Ausgangspunkt ist, dass die evangelische Kirche in Deutschland die Rechtsform der Ehe als besondere Stütze und Hilfe würdigt. Die Ehe schaffe und sichere dauerhaft und folgenhaft die durch ihren Öffentlichkeitscharakter dokumentierte wechselnde Verantwortlichkeit und Verlässlichkeit der Ehepartner füreinander, aber auch den Schutz des schwächeren Partners in der Partnerschaft. Dieser Standpunkt äußert sich auch in § 1353 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach die Ehepartner einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet sind und füreinander Verantwortung tragen.
So erinnere das Scheidungsverbot Jesu (Matthäus-Evangelium, Kapitel 19, Vers 6) Paare und Eltern an ihre Verantwortung und macht deutlich, dass Verlässlichkeit für jede Gemeinschaft konstitutiv ist, weil diese Gemeinschaft die Schwächeren schützt und damit erst den Spielraum für Freiheit und Entwicklung eröffnet. Zugleich erkennt die evangelische Kirche an, dass Familien auch
- als Patchwork-Familie in Erscheinung treten
- oder als kinderloses Paar, das die hochaltrige pflegebedürftige Mutter betreut
- oder das gleichgeschlechtliche Paar mit Kindern aus einer ersten Beziehung.
Dieser gesellschaftliche Trend werde anerkannt, weil die Menschen, die zur Familie zählen, nicht nur Menschen sind, die gemeinsam unter einer Adresse leben, sondern alle Paare, die durch liebevolle Zuwendung, vielfältigen Austausch, Unterstützung und Hilfeleistung ein familiäres Zusammengehörigkeitsgefühl begründen.
Welche Konsequenzen hat die Scheidung evangelischer Ehepartner?
Werden Sie geschieden, ändert sich für Protestanten in der Kirche nichts:
- Sie dürfen weiter am Abendmahl teilnehmen, auch dann, wenn sie ein weiteres Mal heiraten.
- Und wie oft darf man evangelisch kirchlich heiraten? Eine bestimmte Anzahl gibt es nicht. Möchten Sie nach Ihrer Scheidung nochmals heiraten, ist im Regelfall auch die kirchliche Trauung problemlos möglich, wenn der Pfarrer zustimmt.
- Sind Sie evangelisch und waren mit einem katholischen Ehepartner verheiratet, müssen Sie nach Ihrer Scheidung jedoch damit rechnen, dass Sie einen katholischen Ehepartner nur erneut ehelichen können, wenn Ihre erste Ehe auch nach katholischem Kirchenrecht aufgelöst wurde.
Gibt es ein kirchliches Ritual anlässlich einer Scheidung?
Die evangelische Kirche betrachtet die Begleitung von Menschen in Krisensituationen als eine Kernaufgabe. Es gibt kein offizielles Scheidungsritual. Es gibt aber Kirchengemeinden, die Gottesdienste mit liturgischen Texten für Getrenntlebende und Geschiedene anbieten. Welche Formen und Rituale es in Ihrer Gemeinde gibt, klären Sie am besten mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin in Ihrer Kirchengemeinde.
Scheidung evangelischer Pfarrer
Die evangelische Kirche kennt kein Zölibat. Evangelische Pfarrer dürfen heiraten. Deshalb muss auch die Scheidung möglich sein, wenn die Ehe zerrüttet und gescheitert ist. Da eine Scheidung auch in der evangelischen Kirche früher als Makel betrachtet wurde, mussten Pfarrer bis in die 90er Jahre nach der Scheidung mit der Strafversetzung in eine andere Gemeinde oder sogar mit der Entlassung aus dem Kirchendienst rechnen. Mit der Abkehr vom Schuldprinzip darf eine Scheidung im Hinblick auch das kirchliche Dienstrecht nicht mehr als Amtspflichtverletzung betrachtet werden.
Scheidung in der evangelischen vs. katholischen Kirche
Über die Jahrhunderte galt das katholische Kirchenverständnis. Die katholische Kirche betrachtet die Ehe nach wie vor als Sakrament. Die dadurch entstehende heilige Verbindung der Ehepartner soll auch durch die Scheidung nicht aufgelöst werden können. In der Konsequenz bleibt die erneute kirchliche Trauung eines geschiedenen und katholisch verheirateten Partners ausgeschlossen. Eine Ausnahme erkennt die Kirche nur an, wenn die erste Ehe kirchenrechtlich annulliert wurde.
Martin Luther erkannte den Sakramentscharakter der Ehe nicht mehr an. Für Luther war die Ehe ein „weltlich Ding“. Auch wenn Luther die Ehe als göttliche Institution eines heiligen Standes respektierte, führte seine Kritik dazu, das Eherecht aus der Regelungskompetenz der Kirche herauszulösen und in die Regelungskompetenz des Staates zu überführen. Aber auch Luther schaffte es nicht, ein weltliches Modell des Ehe- und Scheidungsrechts zu entwickeln. Auch sein Verständnis beruhte auf der Bibel. Immerhin erkannte Luther an, dass eine Scheidung möglich sein müsse, um einem unschuldigen Ehegatten aus seiner Not herauszu helfen. Es könne gewichtige Gründe geben, eine Scheidung zu rechtfertigen. Eine Scheidung aus Willkür ohne nachvollziehbare Gründe lehnte er ab.
Das Kirchenrecht ist im Hinblick auf die Scheidung ziemlich diffus. Im Hintergrund steht die Vorstellung, dass eine Ehe eigentlich unauflösbar sein sollte. Zugleich müssen die Kirchen anerkennen, dass es Gründe gibt, eine gescheiterte Ehe aufzulösen. Für Geschiedene und solche, die es werden wollen, gilt es, sich in diesem diffusen Hin und Her zu bewegen und zurechtzufinden. Im Zweifelsfall empfiehlt sich immer das Gespräch mit einem Kirchenvertreter vor Ort.