Es ist zwar schon einige Jahrzehnte her. Dennoch hat das "1. Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts" vom 1. Juli 1977 das Scheidungsrecht maßgeblich geprägt. Es markiert den Übergang vom bis dahin geltenden Verschuldensprinzip zum Zerrüttungsprinzip. Danach kommt es für die Scheidung allein darauf an, dass Ihre Ehe gescheitert ist. Wer die Zerrüttung verursacht hat, bleibt ohne Bedeutung. Die Auseinandersetzungen über die Schuld an der Zerrüttung der Ehe wurden aus dem Scheidungsverfahren in eventuell durchzuführende Scheidungsfolgenverfahren verlagert. Das bis dahin im Ehegesetz (EheG) eigenständig geregelte Scheidungsrecht wurde in das Bürgerliche Gesetzbuch verlagert. Es ist interessant zu wissen, welche Hintergründe die Reform hatte.
Früher war alles anders, aber nicht unbedingt besser
Das Familienrechtsänderungsgesetz von 1961 hatte noch klargestellt, dass eine Ehe gegen den Widerspruch eines Ehegatten nicht geschieden werden konnte, wenn der Ehegatte, der die Scheidung begehrte, die Zerrüttung ganz oder überwiegend verschuldet hatte. 1969 änderten sich die politischen Verhältnisse. Unter der sozialliberalen Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt wurde die Diskussion um das Ehe- und Scheidungsrecht wieder neu belebt. Sie führte mit dem Eherechtsreformgesetz von 1977 zu einem parteiübergreifenden Kompromiss, in dem nicht mehr die patriarchalische, sondern die partnerschaftliche Ehe das Leitbild des Scheidungsrechts bildete.
„Du bist schuld“ ist kein Scheidungsgrund mehr
Ihre Ehe ist gescheitert, wenn Ihre eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht und Sie oder Ihr Ehepartner diese Lebensgemeinschaft nicht mehr fortführen möchten. Damit kommt es allein auf den bestehenden Zustand Ihrer Ehe sowie eine Prognose an, ob die Aussicht für eine Versöhnung besteht. Verlässliches Kriterium dafür, dass Ihre Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht, ist Ihre räumliche Trennung.
Den rechtlichen Hintergrund für diese Einschätzung bildet das Zerrüttungsprinzip. Es genügt, wenn Ihre Ehe gescheitert ist. Eheliche Verfehlungen bleiben außen vor. Das Zerrüttungsprinzip beruht vor allem auf der Erkenntnis, dass eine gescheiterte Ehe auf Ursachen zurückgeht, die sich in aller Regel nicht in einem gerichtlichen Verfahren zuverlässig klären lassen.
Das Verschuldensprinzip provozierte Schlammschlachten
Das Zerrüttungsprinzip hatte das bis dahin geltende Verschuldensprinzip abgelöst. Die nach dem Verschuldensprinzip notwendige Suche nach der Schuld hatte zur Folge, dass die Konflikte zwischen den Partnern sich verschärften und vornehmlich im Scheidungsverfahren ausgetragen wurden. Aufgabe des Scheidungsverfahrens soll es jedoch gerade sein, die eheliche Auseinandersetzung zu deeskalieren. Nur so lässt sich der Weg ebnen, der zu einer einvernehmlichen Scheidung führt und insbesondere eine Regelung der mit der Trennung und Scheidung verbundenen Folgen ermöglicht. Auch sollte es nicht Aufgabe des Familiengerichts sein, eine Ehe moralisch zu bewerten. Das Verschuldensprinzip habe den Rechtsfrieden geradezu gefährdet, wenn sich Ehepartner gegenseitig mit Schuldvorwürfen angriffen und sich veranlasst sahen, Scheidungsgründe oft vorzutäuschen.
Früher kam es im Scheidungsverfahren nämlich immer wieder dazu, dass die Ehepartner im Scheidungsverfahren sich veranlasst sahen, „schmutzige Wäsche zu waschen“, nur um den Ehepartner ins schlechte Licht zu rücken. Derjenige, dem die Schuld am Scheitern der Ehe nachgewiesen werden konnte, hatte schlechte Karten, wenn es um die Regelung von Scheidungsfolgen ging. Solange ehelichen Verfehlungen rechtliche Relevanz zugemessen wurde, wurde die Erkenntnis ignoriert, dass die Zerrüttung einer Ehe auf Prozessen beruht, an denen beide Ehegatten in der einen oder anderen Form beteiligt sind. Ein gerichtliches Verfahren über die Schwere und Ursache solcher Verfehlungen führte immer wieder dazu, dass sich die Beziehungen der Ehepartner zusätzlich verschlechterten und insbesondere im Interesse gemeinsamer Kinder vernünftige Regelungen blockierten.
Das Eherechtsreformgesetz hatte die Benachteiligung der Frauen im Blick
Vor allem Frauen waren infolge des Verschuldensprinzips benachteiligt. Konnte ihnen im Scheidungsverfahren ein persönliches Fehlverhalten nachgewiesen werden, hatte der Mann im Hinblick auf finanzielle Leistungen Vorteile. Da vornehmlich zur Zeit des Verschuldensprinzips Frauen weit häufiger als Männer ihre Erwerbstätigkeit wegen der Heirat und Erziehung der Kinder unterbrochen hatten oder lediglich einer Teilzeittätigkeit nachgegangen sind, waren und sind Frauen auch heute noch meist ausgleichsberechtigt. Sie liefen bei ehelichem Fehlverhalten Gefahr, den finanziellen Ausgleich für die ehebedingte Aufgabenverteilung einzubüßen, während für erwerbstätige Männer ein vergleichbares Verhalten kein solches Risiko nach sich zog. Dies bedeutete eine faktische Schlechterstellung von Frauen.
Demgemäß stellte die Reform darauf ab, dass die Aufgabenverteilung zwischen Ehepartnern nach dem Alleinverdiener-Modell geprägt war. Danach war in der Regel der Mann für den finanziellen Unterhalt der Familie zuständig, während der Frau Haushaltsführung und Kindererziehung übertragen waren. Die Frau durfte nur dann berufstätig sein, wenn sich dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbaren ließ.
Der damalige Justizminister Gerhard Jahn (SPD) stellte in der ersten Lesung vor dem Bundestag zum Entwurf des Eherechtsreformgesetz fest, dass das Gesetz einen einseitigen Vorrang des Mannes aufrechterhalte. Ziel der Reform müsse ein faires und ehrliches Scheidungsrecht sowie ein gerechtes Scheidungsfolgenrecht sein, das dem partnerschaftlichen Eheverständnis entspricht. Mit der Reform wurde das Leitmodell der Hausfrauenehe durch das Partnerschaftsprinzip ersetzt. Seitdem gibt es in der Ehe keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung mehr. Es bleibt den Ehepartner überlassen, wie sie die Aufgaben in der Ehe verteilen.
Der wirtschaftlich stärkere Partner stützt den schwächeren Partner
Mit dem Zerrüttungsprinzip wurde das Verschuldensprinzip auch insoweit aufgehoben, als derjenige Ehepartner, der das Scheitern der Ehe maßgeblich verschuldet hatte, dem anderen Ehepartner und den gemeinsamen Kindern gegenüber unterhaltspflichtig war. Nach dem Zerrüttungsprinzip ist ungeachtet des Verschuldens stets der wirtschaftlich stärkere Partner gegenüber dem wirtschaftlich schwächeren Partner finanziell ausgleichspflichtig.
Über den Unterhalt hinaus wurde zudem der Versorgungsausgleich eingeführt, durch den die Ehepartner gleichmäßig an den während der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften beteiligt wurden. Gerade mit dem Versorgungsausgleich wurde anerkannt, dass Haushaltsführung, Kindererziehung und Erwerbstätigkeit gleichberechtigte Beiträge zum Familienunterhalt darstellen.
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Eheliche Verfehlungen bleiben nicht vollständig außer Betracht
Auch wenn eheliche Verfehlungen für die Scheidung als solche belanglos bleiben, sind Reste von Verhaltenssanktionen erhalten geblieben. So kann der Unterhaltsanspruch trotz bestehender Bedürftigkeit ganz oder teilweise versagt oder gekürzt werden, wenn die nacheheliche Solidarität unzureichend begründet oder schwer erschüttert wurde.
Fällt einem Ehepartner ein offensichtlich schwerwiegendes und eindeutig in seiner Person liegendes Fehlverhalten zur Last, riskiert er oder sie nach wie vor den Unterhaltsanspruch. Schlichte Ehewidrigkeiten genügen dafür nicht. So kann die mit einem Dritten während der Ehe begründete nachhaltige intime Beziehung ein schwerwiegendes Fehlverhalten darstellen. Allerdings wiederholen sich damit die aus dem früheren Recht begründeten schwierigen Fragen nach den Ursachen der Zerrüttung der Ehe, die gerade Grund dafür waren, vom Verschuldensprinzip Abschied zu nehmen. Soweit eheliches Fehlverhalten beim nachehelichen Unterhalt berücksichtigt wird, kann die Frage der Schuld einer rationalen Scheidungsbewältigung immer noch entgegenstehen.
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Auch die Scheidungsfristen wurden neu geregelt
Das Zerrüttungsprinzip führte auch zur Neuregelung der Scheidungsfristen. Nach Vollzug des Trennungsjahres können Sie seitdem mit Zustimmung des Partners problemlos geschieden werden. Widerspricht der Partner der Scheidung nach Ablauf des Trennungsjahres, kann Ihre Ehe trotzdem geschieden werden, wenn Sie in Ihrem Scheidungsantrag nachweisen, dass Ihre Ehe gescheitert ist. In besonderen Härtefällen lässt sich die Trennungszeit verkürzen. Ansonsten bleibt es dabei, dass Sie spätestens nach drei Jahren bedingungslos geschieden werden.
Neuregelung des Namensrechts
Auch das Namensrecht wurde liberalisiert. Der Name des Mannes wurde nicht mehr automatisch gemeinsamer Familienname. Stattdessen können die Partner den Namen des Mannes oder den Namen der Frau zum gemeinsamen Familiennamen bestimmen. Ebenso kann der Ehepartner seinen Geburtsnamen dem Familiennamen voranstellen.
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Was muss ich tun, wenn ich nach der Scheidung meinen Namen geändert habe?
Sie müssen Ihren Vertragspartnern und Behörden den neuen Namen mitteilen.
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Mitteilung Namensänderung nach Scheidung
So teilen Sie Behörden und Vertragspartnern Ihre Namensänderung mit.
Einführung von Familiengerichten
Vor der Reform waren die Amtsgerichte für die Scheidungsverfahren zuständig. Für das gesamte Scheidungsverfahren sind seither, als Spezialabteilung der Amtsgerichte, die neu geschaffenen Familiengerichte zuständig.
Alles in allem
Das Ehe- und Scheidungsrecht hat eine jahrhundertelange Entwicklung durchlaufen. Maßgeblich hatten die Reform Martin Luthers und die Zeit der französischen Aufklärung dazu geführt, die Ehe als eine vertragliche Vereinbarung zwischen Ehegatten zu betrachten, die unabhängig vom kirchlichen Segen besteht. Da die Ehe als eine Art Vertrag betrachtet wurde, musste sie rechtlich auch aufgelöst werden können. Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 hatte diesen Ansatz bereits aufgegriffen. Danach konnte die Ehe bei einem verschuldeten Fehlverhalten eines Ehepartners geschieden werden. Auch verschuldensunabhängige Scheidungsgründe (z.B. Wahnsinn) konnten einen Scheidungsgrund darstellen. Das 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch stellte vornehmlich auf das Verschuldensprinzip ab. Da das Verschuldensprinzip der Lebenswirklichkeit nicht gerecht wurde, hatte bereits die Weimarer Reformdiskussion die Frage aufgegriffen, unter welchen Voraussetzungen eine verschuldensunabhängige Scheidung anerkannt werden sollte. Es dauerte bis 1977, bis die Theorie zur Praxis wurde.