Beim echten Wechselmodell betreuen die getrennt lebenden Eltern das gemeinsame Kind zu annähernd gleichen Teilen. Das Kind wohnt einen bestimmten Zeitraum (etwa eine Woche) bei einem Elternteil, der es auch versorgt, und lebt den darauffolgenden, gleich langen Zeitraum, beim anderen Elternteil. Dies geschieht im ständigen Wechsel. Dadurch verbringen die einzelnen Elternteile und das Kind jeweils gleich viel Zeit miteinander – anders als beim herkömmlichen Residenzmodell. Welche Betreuungsmodelle es gibt, wie das echte Wechselmodell funktioniert und auf welche Weise dabei vor allem der Kindesunterhalt berechnet wird, ist hier für Sie dargestellt.
Residenzmodell, unechtes Wechselmodell oder echtes Wechselmodell
Bei den Betreuungsmodellen für ein gemeinsames Kind (oder mehreren gemeinsamen Kindern) ist zwischen dem Residenzmodell sowie dem unechten und dem echten Wechselmodell zu unterscheiden.
Beim herkömmlichen Residenzmodell wohnt (residiert) das Kind bei einem Elternteil und wird daher von diesem mit Unterkunft, Kost, Bekleidung usw. betreut. Der andere Elternteil leistet Barunterhalt und hat ein Recht zum Umgang mit dem Kind, welcher sich in der Praxis meist auf jedes zweite Wochenende und die Hälfte der Sommerferien erstreckt. Die Kosten des Umgangs fallen dabei regelmäßig dem barunterhaltspflichtigen Elternteil zur Last. Da auch der Gesetzgeber vom Residenzmodell ausgeht, ist dieses insbesondere beim Kindesunterhalt gesetzlich geregelt.
Das unechte Wechselmodell ist letztlich ein Residenzmodell mit deutlich erhöhtem Umgang des barunterhaltsverpflichteten Elternteils. Hier bleibt das Kind auch längere Zeiträume beim Barunterhaltspflichtigen. Da das Kind aber immer noch überwiegend bei einem Elternteil wohnt, bleibt es bei der Verpflichtung zum Barunterhalt des anderen Elternteils. Die durch den erhöhten Umgang von regelmäßig mehr als zehn Tagen im Monat entstehenden Mehrkosten (etwa Fahrtkosten) können aber von den Familiengerichten berücksichtigt werden, in dem der Barunterhaltsverpflichtete in der Düsseldorfer Tabelle in eine niedrigere Einkommensgruppe eingestuft oder bei nur einem Unterhaltsberechtigten auf eine Höherstufung verzichtet wird, wodurch sich der monatlich zu zahlende Barunterhalt ermäßigt. Darüber hinaus können finanzielle, den Unterhaltsbedarf des Kindes teilweise deckende Aufwendungen (etwa die komplette Ausstattung des Kindes mit Sommer- und Winterkleidung) zu einer Minderung des Barunterhalts führen.
Beim echten Wechselmodell (Doppelresidenzmodell, Pendelmodell) wohnt das Kind im Wechsel zu gleichen Teilen (paritätisch) bei beiden Elternteilen und wird von diesen auch zu gleichen Teilen betreut. Gesetzliche Regelungen zu diesem von immer mehr Eltern praktizierten Modell existieren nicht, sodass zahlreiche rechtliche Probleme, insbesondere beim Unterhalt, bestehen. Darüber hinaus führt dieses Modell regelmäßig neben den zusätzlichen Fahrtkosten zwischen den elterlichen Wohnungen zu weiteren Mehrkosten, da das Kind bei beiden Elternteilen in etwa dieselbe Grundausstattung haben sollte (etwa Kinderzimmer), um ausreichend versorgt zu sein.
Vor- und Nachteile des echten Wechselmodells
In der Familienpsychologie und Rechtswissenschaft ist das echte Wechselmodell nicht unumstritten. Kritisiert wird vor allem, dass
das Kind kein „richtiges Zuhause“ hat, weil es ständig zwischen den beiden Elternteilen hin und her „pendelt“, so dass es sich letztlich nirgendwo geborgen fühlt.
die Bindungs- und Betreuungsbedürfnisse speziell von Kleinkindern nicht kindgerecht erfüllt werden können.
durch die regelmäßigen Wechsel erhöhte Kosten und ein vermehrter logistischer Aufwand entstehen.
der für dieses Modell erforderliche Bedarf an Kommunikation und Abstimmung zwischen den Elternteilen für erhöhte Spannungen sorgen kann.
Dem stehen folgende Vorteile des echten Wechselmodells gegenüber:
Das Kind verbringt mit den Elternteilen, die es beide gernhat, gleich viel Zeit und wächst auch bei beiden Elternteilen auf.
Beide Elternteile sind für die Betreuung des Kindes verantwortlich und können dem Kind daher auch beide Unterstützung bieten, da sie regelmäßig beide über etwaige Probleme des Kindes informiert sind.
Das für das Kind verzerrte Bild der Elternteile, von denen einer für den „langweiligen“ Alltag und der andere für die „spannenden“ Wochenend- und Ferienunternehmungen zuständig ist, entfällt.
Da das Kind bei beiden Elternteilen gleich viel Zeit verbringt, entfällt der „Kampf um das Kind“ bei Trennung und Scheidung.
Rechtliche Voraussetzungen des echten Wechselmodells
Mangels einer gesetzlichen Regelung hat die Rechtsprechung die rechtlichen Voraussetzungen für das echte Wechselmodell aufgestellt. Sehr ausführlich hat etwa das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig (Beschluss vom 16.06.2016, Az.: 10 UF 251/09) Stellung genommen. Danach erfordert das echte Wechselmodell, dass
die Eltern hinreichend zu gemeinsamer Kooperation und Kommunikation bereit und imstande sind, insbesondere auch hinsichtlich der gesteigerten Kooperations- und Kommunikationsanforderungen beim echten Wechselmodell.
bei den Eltern ein Grundkonsens in den wesentlichen Erziehungsfragen besteht.
beide Elternteile erziehungsgeeignet sind.
die Bindungen des Kindes zu beiden Elternteilen gleichwertig sind.
die Praktizierung des echten Wechselmodells dem Kindeswillen entspricht.
die äußeren Bedingungen dem Kindeswohl entsprechen (etwa geringe Entfernung zu den elterlichen Wohnungen sowie jeweils angemessene Unterbringung und Versorgung).
Fehlt es an der gemeinsamen Kooperation und Kommunikation zwischen den Elternteilen und lässt sich diese auch nicht wiederherstellen, ist das echte Wechselmodell meist ausgeschlossen.
CHECKLISTE
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Kein echtes Wechselmodell – sondern nur ein unechtes Wechselmodell – ist gegeben, wenn
die Betreuung des Kindes nicht annähernd gleich, sondern zu 2/3 von einem Elternteil und zu 1/3 vom anderen Elternteil erbracht wird.
ein Elternteil bei Überstunden des anderen Elternteils das Kind betreut oder Kleidung und Schulsachen nur von einem Elternteil besorgt sowie das Kind zu Schul- und Musikstunden nur von einem Elternteil begleitet wird.
das Kind bei einer Erkrankung nur von der Mutter, also von einem Elternteil, versorgt wird.
Ein echtes Wechselmodell liegt also nur dann vor, wenn sämtliche Betreuungsleistungen von beiden Elternteilen annähernd zu gleichen Teilen erbracht werden. Das ist nicht mehr gegeben, wenn 10% oder mehr von der hälftigen Aufteilung abgewichen wird.
Gerichtsentscheidungen, insbesondere ein Beschluss des BGH von 2017 (Aktenzeichen XII ZB 601/15), haben zwar gegen den Willen eines Elternteils das echte Wechselmodell angeordnet, es handelt sich dabei jedoch stets um Einzelentscheidungen. Dies erfolgt nur, wenn dieses Betreuungsmodell dem Kindeswohl entspricht und sich das echte Wechselmodell auch durchführen lässt.
Bei der Berechnung des Kindesunterhalts beim echten Wechselmodell bestehen einige Besonderheiten. Zwar zahlt in der Praxis häufig der jeweilige Elternteil in der Zeit, in der das Kind bei ihm wohnt und das Kind von ihm versorgt wird, die dafür anfallenden Kosten selber, während größere Kosten (etwa eine Brille, eine Klassenfahrt o. ä.) zwischen den Elternteilen geteilt bzw. anteilig nach dem jeweiligen Einkommen getragen werden. Tatsächlich sind beim echten Wechselmodell jedoch beide Elternteile zu Barunterhalt verpflichtet, wobei auch das Kindergeld aufzuteilen bzw. anzurechnen ist.
Die Berechnung des Kindesunterhalts im Einzelnen
Schaubild
Die Berechnung des Kindesunterhalts beim echten Wechselmodell ähnelt der Unterhaltsberechnung für volljährige Kinder, wobei aber die für dieses Modell entstehenden Mehrkosten zu berücksichtigen sind. Im Einzelnen erfolgt die Berechnung beim echten Wechselmodell wie folgt:
Im 1. Schritt werden die Einkommen beider Elternteile addiert, wobei sich aus dem Gesamteinkommen unter Anwendung der Düsseldorfer Tabelle der Kindesunterhalt ermitteln lässt.
SchaubildiurFRIEND Schaubild: Kindesunterhalt
Der sich für das Wechselmodell ergebende Mehrbedarf (zusätzliche Fahrtkosten zwischen den elterlichen Wohnungen, Kosten für das zusätzliche Kinderzimmer) wird im 2. Schritt zum Kindesunterhalt hinzuaddiert.
Im 3. Schritt ist der den Elternteilen jeweils zustehende Eigenbedarf (Selbstbehalt) von den einzelnen Nettoeinkommen abzuziehen. Im Anschluss daran werden beide Einkommen zueinander im Verhältnis gesetzt.
Entsprechend dem Verhältnis der beiden Nettoeinkommen wird im 4. Schritt der Kindesunterhalt einschließlich der Mehrkosten aufgeteilt.
Danach wird im 5. Schritt das Kindergeld bei dem Elternteil, der es bezieht, zur Hälfte auf den zu zahlenden Anteil an Kindesunterhalt und Mehrkosten hinzugerechnet, während beim anderen Elternteil die Hälfte des Kindergeldes vom zu zahlenden Anteil abgezogen wird.
Im 6. Schritt wird geprüft, welcher Elternteil an den anderen Geld für das Kind zahlen muss, indem die Differenz zwischen den zu zahlenden Anteilen und der Hälfte des Kindesunterhalt einschließlich der Mehrkosten (siehe 2. Schritt) ermittelt wird.
Praxisbeispiel
Berechnung des Kindesunterhalts beim echten Wechselmodell
Das 9-jährige Kind Johanna wohnt bei jedem seiner getrenntlebenden Elternteile Mark und Clara jeweils im Wechsel für eine Woche. Mark erzielt ein monatliches Nettoeinkommen von 2.000 EUR und Clara ein solches von 1.500 EUR, wobei ihr zudem das Kindergeld ausgezahlt wird. Die Fahrtkosten und das zusätzliche Kinderzimmer für Johanna führen zu monatlichen Mehrkosten in Höhe von 200 EUR.
Folge: Der Kindesunterhalt wird schrittweise berechnet:
1. Schritt: Das Gesamteinkommen beider Elternteile beträgt monatlich 3.500 EUR (2.000 EUR Einkommen Mark + 1.500 EUR Einkommen Clara). Damit wären die Eltern an sich in die 5. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1. Januar 2022 ) einzustufen. Da die Tabelle aber für zwei Unterhaltsberechtigte bestimmt und nur einer vorhanden ist, erfolgt eine Höherstufung in die Gruppe 7, wonach der Unterhalt für Johanna monatlich 619[CK2] EUR beträgt.
2. Schritt: Zum monatlichen Unterhalt sind die monatlichen Mehrkosten für Fahrten und das weitere Kinderzimmer von 200 EUR hinzuzurechnen, sodass sich 819 EUR ergeben (619 EUR Unterhalt + 200 EUR Mehrkosten).
3. Schritt: Von den monatlichen Einkommen der Eltern ist zunächst der Eigenbedarf in Höhe von jeweils monatlich 1.160 EUR (Stand: 1. Januar 2022) abzuziehen. Mark verbleiben monatlich 840 EUR Eigenbedarf) und Clara verbleiben monatlich 340 EUR, was insgesamt 1.180 EUR monatlich verbleibendes Einkommen sind. Der monatliche Anteil von Mark beträgt daher rund 71% und der von Clara rund 29%.
4. Schritt: Der Anteil von Mark an Kindesunterhalt und Mehrkosten beträgt monatlich ca. 596,40 EUR und der von Clara monatlich knapp 98,60 EUR.
5. Schritt: Da Clara das monatliche Kindergeld in Höhe von 219 Euro (Stand: 1. Januar 2022) erhält, reduziert sich für Mark der Anteil an Kindesunterhalt und Mehrkosten um das ihm zustehende hälftige Kindergeld. Bei Clara ist dagegen das hälftige Kindergeld hinzuzurechnen.
EXPERTENTIPP
Mehr- und Sonderbedarf zusätzlich anrechnen
Etwaiger weiterer Mehrbedarf (ständig anfallende Kosten, etwa für langfristige Nachhilfe) ist ebenso wie etwaiger Sonderbedarf (plötzliche und unvorhergesehene Kosten, etwa für von der Krankenkasse nicht übernommene Arztkosten) nicht in der Düsseldorfer Tabelle berücksichtigt. Fallen solche Kosten an, sind sie von den Eltern ebenfalls im Verhältnis ihrer Einkommen zu tragen.
Kindergeld beim echten Wechselmodell
Ein besonderes Problem beim Kindergeld im Rahmen des echten Wechselmodells entsteht, wenn keiner der getrenntlebenden Ehegatten Kindesunterhalt verlangt und der eine Ehegatte vom anderen die Hälfte des Kindergeldes haben möchte. Hier kann sich ein Anspruch auf isolierte Auszahlung des hälftigen Kindergelds ergeben.
Den Kindesunterhalt beim echten Wechselmodell einklagen
Regelmäßig macht derjenige Elternteil, bei dem das Kind ständig lebt, als dessen gesetzlicher Vertreter gegen den anderen Elternteil den Anspruch auf Kindesunterhalt vor dem Familiengericht geltend. Beim echten Wechselmodell ist dies jedoch nicht möglich, da das Kind sich bei beiden Elternteilen zu gleichen Teilen aufhält. Daher muss hier der den Kindesunterhalt geltend machende Elternteil entweder die Bestellung eines Ergänzungspflegers oder die Befugnis zur Durchsetzung dieses Anspruchs nach § 1628 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) beim Gericht beantragen.
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Einen 24/7-Service „rund-um-die-Uhr“, weil wir wissen, dass Sie manchmal auch eine Frage spät abends, früh morgens oder am Wochenende beantwortet haben möchten;
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Das Wechselmodell ist eine gute Möglichkeit, beide Elternteile in etwa gleich am Alltag des Kindes zu beteiligen, kommt natürlich aber auch mit seinen eigenen Herausforderungen. Die gemeinsame Erziehung des Kindes wird so oder so nicht immer einfach sein, doch mit Kompromissbereitschaft und gegenseitiger Nachsicht können Sie es schaffen. Erarbeiten Sie eine individuelle Lösung für Ihre Familie – es wird sich langfristig bezahlt machen, wenn Sie Ihr Kind glücklich aufwachsen sehen.