Zu wissen, warum wir sind, wie wir sind kann uns helfen - aber jedem erst einmal für sich selbst. Wenn ein Partner den anderen jedoch ständig bis auf dessen Grundmauern analysiert und sich mehr in dessen Kindheit als im Heute bewegt, darf sich keiner wundern, wenn die Beziehung leidet. Was sagen Sie also dazu, die Freud’sche Dialektik hinter sich lassen UND dabei noch Stärke aus Ihrer Vergangenheit zu ziehen? Sie als Partner werden es beiderseits zu schätzen wissen, und Ihre Kinder vielleicht auch. Sollten Sie sich dennoch auf Schlimmeres vorbereiten, finden Sie in unserem InfoPaket zur Scheidung Hilfe – aber probieren Sie ruhig erst einmal die Erkenntnisse aus diesem Artikel bei sich aus!
Am Anfang war alles gut
Sie haben einander geheiratet. Wenn es nicht allein steuerliche Gründe waren, sollte Ihre gegenseitige Zuneigung die Beziehung geprägt und den Wunsch einer Eheschließung bestimmt haben. Die kleinen Schwächen, die jeder von uns in sich trägt, waren offensichtlich so belanglos oder akzeptabel, dass sie nicht als Hindernis für die Ehe empfunden wurden. Am Anfang war alles gut.
Leben Menschen zusammen, werden diese Schwächen oft erst im Laufe der Zeit so richtig bewusst. Plötzlich ist wichtig, was vorher belanglos war. Die Reibungsflächen werden größer. Die gegenseitige Geduld füreinander nimmt ab. Der Alltag setzt andere Maßstäbe als in der Phase des Kennenlernens.
Plötzlich entsteht bewusst oder eher unbewusst das Bedürfnis, die Persönlichkeit des anderen, dessen Verhalten, die Beziehung als solche und alles, was das Zusammenleben bestimmt, einer Prüfung zu unterziehen. Meist äußert sich dies in
- Vorwürfen,
- Vorhaltungen,
- und nicht zuletzt in mehr oder weniger gut gemeinten Ratschlägen, dass sich der andere so oder so verhalten möchte.
Was am Anfang gut war, erscheint jetzt in einem anderen Licht. Sind Sie der- oder diejenige, der analysiert und kritisiert wird, müssen Sie überlegen, wie Sie damit umgehen.
Praxisbeispiel
Generationenübergreifende Unordnung
Die Wohnung aufräumen ist nicht Ihr Ding. Sie lassen gerne Ihre Sachen herumliegen und stören sich nicht daran, wenn die Weingläser vom Vorabend auch am nächsten Mittag noch immer auf dem Tisch stehen. Ihr Partner empfindet im Laufe Ihres Zusammenlebens die Unordnung zunehmend als störend. Sie müssen sich den Vorwurf des Partners anhören, dass Sie das Verhalten Ihrer Eltern übernommen haben, für die Ordnung gleichfalls ein Fremdwort war. Diese Kritik kann sich als begründet erweisen, kann im Detail aber auch überzogen daherkommen. Die Lösung kann eigentlich nur auf einen Kompromiss hinauslaufen, in dem Sie so gut es geht aufräumen und der Partner nicht jedes herumliegende Kleidungsstück als Störfaktor empfindet.
Können Analyse und Kritik auch etwas Positives haben?
Es ist normal, wenn die Partner sich in einer Beziehung gegenseitig betrachten und bewerten. Schließlich ist die Persönlichkeit der Partner der Grund, dass es diese Beziehung überhaupt gibt. Um eine Kritik als positiv zu empfinden, müssen diese Aspekte aber auch konstruktiver Art sein, dürfen nicht demütigen, beleidigend oder provozierend daherkommen. Kritik könnte man auch positiv bewerten, weil der Partner dadurch sein Interesse am anderen zum Ausdruck bringt.
Läuft die Analyse und die Kritik aber darauf hinaus, dass sich der Partner anmaßt, den anderen zu demütigen, zu beleidigen oder zu provozieren, wird sich der kritisierte Partner bestenfalls emotional zurückziehen, im ungünstigsten Fall aber sich selbst veranlasst sehen, auf diese Art der Kritik zu reagieren. Gerade, weil Sie sich ständig beobachtet und hinterfragt fühlen, läuft die Reaktion vielleicht darauf hinaus, dass die Kritik mit Gegenkritik beantwortet wird, dass Vorwürfe bestritten werden und Sie sich veranlasst sehen, den anderen gleichermaßen zu kritisieren. Klar, dass damit Streitigkeiten vorprogrammiert sind, deren Ausgang ungewiss ist.
Mit anderen Worten: Eine aufgrund einer Analyse vorgetragene Kritik muss, wenn sie nicht auf emotionale Rückzugsgefechte und Streit hinauslaufen soll, konstruktive Ansätze enthalten, die der kritisierte Partner akzeptieren kann, die er oder sie in das eigene Verhalten einbauen kann und insgesamt geeignet ist, die Beziehung auf einer Ebene zu halten oder wieder dorthin zurückzuführen, wo sich beide Partner wohlfühlen.
Praxisbeispiel
Dampfplauderer trifft Sensibelchen
Sie sprechen so, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist. Ihr Partner fühlt sich im Gespräch insbesondere im Beisein anderer Personen nicht wohl, wenn Sie Worte gebrauchen, die dem Niveau der Gesprächsrunde nicht gerecht werden. Sie müssen sich den Vorwurf anhören, dass Sie vermeintlich nie gelernt haben, sich angemessen zu unterhalten. Läuft der Vorwurf darauf hinaus, dass Sie „in der Gosse aufgewachsen sind“ und die „Peinlichkeit in Person“ darstellen, werden Sie sich beleidigt und gedemütigt fühlen. Reagieren Sie dann so, dass Sie dem Partner vorwerfen, er/sie sei völlig überkandidelt und mache aus Spatzen immer gleich Elefanten, wird sich an der Situation wenig ändern.
Sollte man nachgeben?
Wenn man die Situation mit den Augen des Psychoanalytikers Sigmund Freud betrachtet, werden die Persönlichkeit der Menschen und ihr darauf aufbauendes Verhalten als Erwachsene bereits in der Kindheit geprägt. Vielleicht waren die Eltern ähnlich strukturiert und waren ständig darauf bedacht, das eigene Kind zu einem vermeintlich besseren Verhalten zu animieren. Sah sich das Kind nicht in der Lage, sich gegen diese Art von Kritik zur Wehr zu setzen, wird es Schwierigkeiten haben, es als Erwachsener besser zu machen.
Es ist nun mal so, dass Eltern oft die eigene Persönlichkeit auf die Kinder übertragen. Selbst wenn dem so ist, kann dies natürlich keine Rechtfertigung dafür sein, dass der Partner Sie in Ihrer Beziehung gleichermaßen bis ins Kleinste analysiert. Es kommt immer drauf an, worum es sich handelt.
Praxisbeispiel
Kleidung tragen, bis sie auseinanderfällt
Sie waren in der Kindheit gezwungen, saubere Kleidung zu tragen, die so sauber war, dass Sie sich nicht wohl fühlten und vielleicht von den anderen Kindern deshalb gehänselt wurden. Als Erwachsener tragen Sie Ihre Kleidung deshalb so lange, bis sie buchstäblich auseinanderfällt. Der Partner nimmt diese Gegebenheiten zum Anlass, Sie dafür zu kritisieren und bringt zum Ausdruck, dass Sie sich doch bitte modern und in seinem Sinne stilgerecht kleiden. Die Lösung könnte darin liegen, dass Sie diese Kritik ernst nehmen und Ihren Kleidungsstil zumindest so ändern, dass Sie damit leben können und der Partner zufrieden ist.
Aus Schwächen Stärken machen
Das Praxisbeispiel ist schon mal ein guter Ansatz, dass es Kompromisse geben kann. Doch ein solcher muss nicht immer her, wenn man seine angeblichen Schwächen in Stärken verwandelt. Jede Schwäche kann unter bestimmten Umständen eine Stärke sein oder zumindest positive Aspekte hervorheben. Hier sind einige Beispiele und Strategien, wie man dies umsetzen kann. Voraussetzung für eine Verbesserung der Beziehung ist natürlich, dass man nicht alles so lässt wie vorher und sich entsprechend ins Zeug legt, und nicht nur Dinge uminterpretiert.
Vergesslichkeit
In der Partnerschaft: Nutzen Sie Ihre Vergesslichkeit als Anlass, regelmäßige Kommunikationsrituale zu etablieren, wo Sie und Ihr Partner kommende Ereignisse und wichtige Informationen besprechen. Dies kann die Bindung stärken.
In der Erziehung: Lehren Sie Ihre Kinder den Wert von Organisation und Planung, indem Sie gemeinsam Kalender und Planungstools verwenden. Dies kann sie verantwortungsbewusster machen und gute Gewohnheiten fördern.
Ungeduld
In der Partnerschaft: Nutzen Sie Ihre Ungeduld als Antrieb für Effizienz in Haushaltsmanagement und Organisation. Arbeiten Sie zusammen, um Lösungen zu finden, die Zeit sparen und die Last gleichmäßiger verteilen.
In der Erziehung: Setzen Sie Ihre Energie ein, um proaktive Erziehungsmethoden zu entwickeln, die Ihren Kindern helfen, selbstständig und effizient zu werden.
Schüchternheit
In der Partnerschaft: Ihre natürliche Neigung, weniger zu sprechen, kann Ihnen ermöglichen, ein guter Zuhörer zu sein. Nutzen Sie dies, um Ihrem Partner aufmerksam zuzuhören, was die emotionale Intimität vertiefen kann.
In der Erziehung: Zeigen Sie Ihren Kindern, dass es viele Arten gibt, sich auszudrücken und dass jeder Mensch einzigartig ist. Sie können Ihren Kindern beibringen, wie man empathisch auf die Bedürfnisse anderer eingeht.
Emotionale Sensibilität
In der Partnerschaft: Ihre Fähigkeit, Emotionen tief zu empfinden, kann dazu beitragen, eine tiefere emotionale Verbindung aufzubauen. Nutzen Sie dies, um offene Gespräche über Gefühle und Bedürfnisse in der Beziehung zu führen.
In der Erziehung: Nutzen Sie Ihre Empathie, um eine unterstützende Umgebung zu schaffen, in der sich Ihre Kinder emotional sicher und verstanden fühlen.
Direktheit
In der Partnerschaft: Ihre Direktheit kann dabei helfen, Missverständnisse zu vermeiden, indem Sie klar und offen kommunizieren. Dies kann zu einer gesünderen und ehrlicheren Beziehung führen.
In der Erziehung: Setzen Sie klare Regeln und Erwartungen für Ihre Kinder. Ihre Fähigkeit, unmissverständlich zu kommunizieren, kann Kindern helfen, Grenzen zu verstehen und zu respektieren.
Handwerkliche Unbegabtheit
In der Partnerschaft: Nutzen Sie diese Gelegenheit, um gemeinsame Projekte zu initiieren, bei denen Sie beide lernen und sich entwickeln können. Das gemeinsame Arbeiten an einem Projekt kann die Beziehung stärken.
In der Erziehung: Wenn Sie handwerkliche Projekte zusammen mit Ihren Kindern durchführen, zeigen Sie ihnen, dass es in Ordnung ist, nicht perfekt zu sein und dass der Lernprozess wichtig ist.
Alles in allem
Indem Sie Ihre vermeintlichen Schwächen als Teil Ihrer einzigartigen Persönlichkeit akzeptieren und lernen, diese in verschiedenen Kontexten einzusetzen, können Sie diese zu Ihren Gunsten nutzen und so Ihre persönliche und berufliche Entwicklung vorantreiben. Vor allem können Sie dadurch auch die Beziehungen zu Ihrem Partner und Ihren Kindern verbessern. Sie zeigen auch, dass Wachstum und Lernen kontinuierliche Prozesse sind, die von der ganzen Familie geteilt werden können.