Der Gang zum Kinderarzt kommt immer mal wieder vor, auch nach der Scheidung der Eltern. Wichtig ist nun zu wissen, bei welchen Behandlungen der andere Elternteil ein Mitentscheidungsrecht hat, und wie Sie in Notfällen reagieren sollten. Lesen Sie hier, wer über Medikamente, Impfungen & Co. entscheidet, welchem Elternteil der Arzt Auskunft geben muss, wie eine Sorgerechtsvollmacht helfen kann und wie zu entscheiden ist, wenn Sie unterschiedlicher Meinung sind. Steht Ihnen die Scheidung noch bevor, können Sie übrigens hier unser Gratis-InfoPaket anfordern, mit vielen hilfreichen Informationen zu Trennung und Scheidung.
GUT ZU WISSEN
Kind richtig krankenversichern
War Ihr Kind bisher bei Ihrem Ehepartner oder Ihrer Ehepartnerin im Rahmen der Familienversicherung beitragsfrei mitversichert, kommt die Krankenversicherung auch nach der Scheidung für die Kosten des Kindes auf. Sind Sie selbst Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung, kann das Kind auch über Sie beitragsfrei mitversichert werden. Eine beitragsfreie Familienversicherung ist nicht möglich, wenn ein Elternteil privat krankenversichert ist, das Gesamteinkommen höher als das des gesetzlich versicherten Elternteils ist und die Jahresarbeitsentgeltgrenze regelmäßig übersteigt. Ansonsten können Sie der Krankenkasse innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der Scheidung mitteilen, dass Sie dort freiwillig beitreten möchten. Sie brauchen dann keine Wartezeit zu erfüllen und zahlen oft niedrigere Prämien.
Wer entscheidet, ob das Kind zum Kinderarzt geht?
Hat Ihnen das Familiengericht per Gerichtsbeschluss das alleinige Sorgerecht übertragen, entscheiden Sie als sorgeberechtigter Elternteil allein, ob und wann und warum Sie das Kind beim Kinderarzt vorstellen und wie das Kind eventuell behandelt wird.
Anders ist es, wenn das gemeinsame Sorgerecht beider Elternteile nach der Scheidung unverändert fortbesteht. In diesem Fall entscheidet sich die Frage im Einzelfall nach den Grundsätzen, die das Gesetz für das Sorgerecht bestimmt hat und im Einzelfall von der Rechtsprechung konkretisiert wurden.
EXPERTENTIPP
Gemeinsam entscheiden bedeutet gemeinsame Verantwortung
Selbst wenn ein Elternteil das alleinige Sorgerecht hat, ist es oft im besten Interesse des Kindes, den anderen Elternteil in die Entscheidungen einzubeziehen. Vielleicht hilft es, wenn Sie eine unter Umständen schwierige Entscheidung gemeinsam treffen und nicht allein die Verantwortung tragen müssen. Hilfreich kann auch sein, dass Sie jemanden haben, mit dem Sie die Situation besprechen können. Bestehen für Ihr Kind gesundheitliche Risiken sollten Sie sicherstellen, dass auch der andere Elternteil weiß, wie im Notfall zu handeln ist.
Wer entscheidet was?
Geht es um die medizinische Betreuung des Kindes, entscheidet im Grundsatz der betreuende Elternteil allein, wenn es um eine Angelegenheit des alltäglichen Lebens geht. Anders ist es bei Angelegenheiten, die für die Entwicklung der Person des Kindes von erheblicher Bedeutung sind.
So weist das OLG Brandenburg (Beschluss vom 15. März 2012, Az. 10 UF 6/12) darauf hin, dass bei gemeinsamem Sorgerecht beide Elternteile in wichtige medizinische Entscheidungen einbezogen werden müssen.
Es ist also immer genau zu prüfen und zu entscheiden, ob es sich um eine Angelegenheit des täglichen Lebens oder um eine erhebliche Angelegenheit handelt. Dies ist natürlich nicht immer glasklar zu erkennen. Letztlich kommt es darauf an, auf der Grundlage der Grundsätze des Sorgerechts mit Blick auf das Kindeswohl in die eine oder andere Richtung zu argumentieren und im Einzelfall zu begründen, warum es sich um eine alltägliche Angelegenheit oder eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind handelt.
Schauen wir ein paar Beispiele an.
Arzttermin
Sind Sie der betreuende Elternteil, bestimmen Sie nach Vorgabe der Arztpraxis, wann Sie mit dem Kind zum Arzt gehen. Es handelt sich dabei um eine Angelegenheit des täglichen Lebens. Wünscht der andere ebenfalls sorgeberechtigte Elternteil, das Kind gleichfalls zum Arzt zu begleiten, bleibt es Ihnen unbenommen, den Termin abzusprechen.
GUT ZU WISSEN
Ohne Sorgerecht mit dem Kind zum Arzt gehen?
Wenn ein Elternteil das alleinige Sorgerecht hat, kann der andere Elternteil mit dem Kind natürlich trotzdem zum Arzt gehen – vorausgesetzt, dies ist mit dem sorgeberechtigten Elternteil abgesprochen. Dieser kann eine Vollmacht für den Arztbesuch ausstellen, in der festgehalten wird, wer das Kind wann zu welchem Termin begleiten darf und welche Untersuchungen oder Behandlungen durchgeführt werden dürfen. So eine Vollmacht kann zeitlich beschränkt und natürlich auch widerrufen werden.
Brille
Benötigt das Kind nach Aussage des Augenarztes und des Optikers eine Brille, sollte kein Elternteil sich anmaßen, eine bessere Meinung vertreten zu wollen. Entscheidet sich der betreuende Elternteil für die Brille, dürfte es sich um eine alltägliche Entscheidung handelt.
Vorsorgeuntersuchungen
Die Vorsorgetermine (U2, U3, U7a, J1 usw.) wahrzunehmen, bei denen das Kind in regelmäßigen Abständen beim Kinderarzt vorstellig wird, sollte keinen Widerspruch erzeugen. Es dürfte sich um eine alltägliche Angelegenheit drehen, für die der andere Elternteil nicht zuzustimmen braucht.
EXPERTENTIPP
Gelbes Untersuchungsheft
Seit 2017 erhalten die Eltern bei der Geburt eines Kindes das neue gelbe Untersuchungsheft. Mit dem neuen gelben Untersuchungsheft wird die Bedeutung der Beratung durch den Kinder- und Jugendarzt, z.B. zu den Themen „Impfen“, zur Prävention von Übergewicht und zum UV-Schutz, als wichtiger Bestandteil der Vorsorgeuntersuchung hervorgehoben. Neben der körperlichen Untersuchung hat nun die Beurteilung der emotionalen und sozialen Entwicklung des Kindes und der Interaktion zwischen Eltern und Kind einen größeren Stellenwert bekommen. Damit sollen u.a. psychische Probleme frühzeitig erkannt und behandelt werden können.
Zahnarzt und Zahnspange
Es empfiehlt sich, das Kind regelmäßig beim Zahnarzt vorzustellen. Auch dies ist eine alltägliche Angelegenheit. Benötigt das Kind eine Zahnspange, sollten Sie die Entscheidung nach Maßgabe der zahnärztlichen Empfehlung treffen. Empfiehlt der Zahnarzt nachhaltig eine Zahnspange und sind Sie selbst auch überzeugt, sollten Sie vorrangig entscheiden, auch wenn der andere Elternteil ablehnt. Bedeutet die Zahnspange eine erhebliche kieferorthopädische Maßnahme, könnte es sich auch um eine erhebliche Angelegenheit handeln, für die Sie die Zustimmung des anderen Elternteils benötigen. Hier dürfte es auf die Umstände im Einzelfall ankommen.
Psychotherapeutische Behandlung
Ist das Kind seelisch belastet, können psychotherapeutische Behandlungen Abhilfe und Linderung bringen. Handelt es sich dabei um eine längerfristige Behandlung, deren Ablauf und Erfolg diskutabel erscheint, können Sie auf die Zustimmung des anderen Elternteils angewiesen sein (so OLG Hamm FamRZ 2000, 27).
Impfungen
Gerichte sehen sich außerstande, den Sinn oder Nicht-Sinn einer Impfung nach eigenem Ermessen zu beurteilen. Vielmehr orientieren sich die Gerichte an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO). Vor allem wenn es um übliche Schutzimpfungen (Masern, Keuchhusten, Mumps) geht, gehen die Gerichte davon aus, dass die Empfehlungen der STIKO das für das Kindeswohl bessere Konzept darstellen (so z.B. OLG Frankfurt, Beschluss v. 8.3.2021, Az. 6 UF 2/21).
Operationen
Muss das Kind operiert werden, dürfte es sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung handeln, für die Sie die Zustimmung auch des anderen Elternteils einholen sollten. Lediglich in Not- und Eilfällen dürfen Sie allein entscheiden. Gleiches gilt für Behandlungen, bei denen das Kind einem erheblichen Risiko ausgesetzt ist und die möglicherweise einer nicht einheitlichen medizinischen Beurteilung unterliegen.
Medikamente
Empfiehlt der Kinderarzt, dass das Kind aufgrund seiner gesundheitlichen Situation ein bestimmtes Medikament nehmen muss, sollte es jedem Elternteil ein Gebot der Vernunft sein, einer bewährten schulmedizinischen Empfehlung zu folgen.
Welchem Elternteil muss der Arzt Auskunft geben?
Sind beide Elternteile sorgeberechtigt, sollte jeder Elternteil Anspruch darauf haben, vom Arzt Auskunft über den Gesundheitszustand des Kindes und die durchgeführten oder zu empfehlenden Maßnahmen zu erhalten. Der Arzt ist verpflichtet, beide Elternteile gleichermaßen zu informieren, sofern keine gerichtliche Anordnung vorliegt, die dies einschränkt. Der Bundesgerichtshof hat bekräftigt, dass bei gemeinsamem Sorgerecht beide Elternteile das Recht auf Auskunft über den Gesundheitszustand des Kindes haben (BGH, Urteil vom 9.2.2005, Az. XII ZR 56/03). Das Auskunftsrecht beinhaltet aber noch nicht unbedingt das Recht, zu entscheiden, was richtig oder falsch ist.
Mit einer Sorgerechtsvollmacht Streitigkeiten vermeiden
Sind Sie sich wegen einer ärztlichen Behandlungsmaßnahme uneinig und beantragen die Übertragung des alleinigen Sorgerechts, könnte eine Lösung darin bestehen, dass ein Elternteil dem anderen Elternteil eine Sorgerechtsvollmacht erteilt. Die Gerichte betrachten eine solche Sorgerechtsvollmacht als das mildere Mittel, das die Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts ermöglicht.
Voraussetzung dafür ist eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern (so BGH, Beschluss vom 29.4.2020, Az. XII ZB 112/19). Eine Sorgerechtsübertragung scheidet nämlich aus, wenn dem Kindeswohl durch mildere Mittel entsprochen werden kann. Eine solche Sorgerechtsvollmacht kann jederzeit widerrufen werden.
Muster
Wie regeln wir das Sorgerecht nach der Trennung?
Unser Muster zeigt Ihnen ein Beispiel, wie Sie das Sorgerecht für Ihre gemeinsamen Kinder regeln könnten. Für jede Familie kann die Lösung jedoch anders aussehen.
Muster
Sorgerechtsvereinbarung
Regeln Sie nach der Trennung das Sorgerecht im Ganzen oder Teilbereiche einvernehmlich, um Streit vorzubeugen.
Alles in allem
In Fragen der medizinischen Betreuung des Kindes sollten Eltern eigentlich das gleiche Interesse verfolgen, auch nach einer Scheidung. Gibt es unterschiedliche Meinungen, können die Empfehlungen und Ratschläge der Ärzte helfen, Brücken zu schlagen. Letztlich geht es um das Wohl des Kindes.
Steht Ihnen die Scheidung noch bevor, können Sie neben unserem InfoPaket übrigens auch einen Gratis-Kostenvoranschlag für Ihre Scheidung bei uns erhalten. Diesen können Sie kostenlos hier online anfordern.